Die Hütte

Der Wind heulte durch die dunklen Baumwipfel des Mount Chiliad, als Alex seinen Weg durch den Wald suchte. Der Wetterbericht hatte nur leichten Regen vorhergesagt, doch jetzt war ein heftiger Sturm über die Berge hereingebrochen und als würde das nicht reichen, hat er die Zeit vertrödelt und es wird langsam dunkel. Donner grollte in der Ferne, und Blitze zuckten über den Himmel, tauchten die Landschaft in ein gespenstisches Licht.

Alex zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und kämpfte sich, den ausgetretenen Wanderweg nur noch erahnend, durch das dichte Unterholz. Jeder Schritt war mühsam, das nasse Laub klebte an seinen Stiefeln, Äste peitschten ihm ins Gesicht. Er kannte die Gegend nicht gut, war nur auf einer spontanen Wandertour unterwegs gewesen. Nun war er völlig durchnässt, und die Kälte kroch ihm bis in die Knochen. Der Sturm verstärkte sich, und das Donnergrollen hallte zwischen den Bäumen wider, als ob die Berge selbst atmeten. Er brauchte dringend einen Unterschlupf.

Plötzlich tauchte vor ihm eine dunkle Silhouette auf – eine alte, verlassene Hütte, verborgen zwischen den Bäumen. Das Holz war verwittert, die Fenster dunkel und leer, als ob sie ihn anstarrten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Doch in diesem Moment war es seine einzige Rettung.

Zögernd trat er näher und drückte gegen die Tür. Sie quietschte laut, als sie aufsprang. Ein modriger Geruch schlug ihm entgegen, feucht und abgestanden. Das Innere der Hütte war spärlich eingerichtet: Ein Tisch, ein paar Stühle, ein Kamin – und an den Wänden hingen alte, vergilbte Bilder. Die Gesichter darauf waren seltsam verzerrt, als hätte jemand versucht, sie auszukratzen. Der Anblick ließ ihn frösteln.

Alex trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Der Wind rüttelte an den morschen Wänden, und der Regen prasselte unaufhörlich auf das Dach. Er seufzte erleichtert und rieb seine kalten Hände aneinander, während er sich umsah.

Doch dann bemerkte er es.

Etwas stimmte nicht.

Die Luft im Raum fühlte sich schwer an, drückend, als wäre er nicht allein. Ein leiser Schauder kroch seinen Rücken hinauf. Dann fiel sein Blick auf den Tisch. Dort lag ein Buch, geöffnet auf einer bestimmten Seite. Die Schrift war hastig und ungleichmäßig, als ob jemand in Panik geschrieben hätte.

Erster Eintrag: „Etwas ist in den Wänden. Ich höre es nachts. Es kratzt, es flüstert. Ich dachte, es seien Mäuse. Aber Mäuse flüstern nicht. Ich werde versuchen, nicht darauf zu achten.“

Zweiter Eintrag: „Ich habe es gesehen. Zwischen den Dielen. Augen – schwarze, leere Augen. Ich habe versucht, es mir einzureden, dass es ein Traum war. Aber es war kein Traum. Es beobachtet mich.“

Dritter Eintrag: „Ich darf nicht schlafen. Wenn ich schlafe, kommt es näher. Ich spüre es unter meinem Bett, in den Wänden, IM BODEN. Ich habe das Schloss an der Bodenluke verstärkt. Aber es lacht. Ich höre es lachen.“

Vierter Eintrag: „Es atmet in meinem Nacken. Ich bewege mich nicht. Wenn ich mich bewege, sieht es mich. Ich bin mir sicher, dass es unter meiner Haut ist. Ich kratze. Es juckt so sehr. Ich kratze, bis es blutet, aber es geht nicht weg.“

Letzter Eintrag: „ES KRIECHT DURCH DIE WÄNDE. ES LEBT IM HOLZ, IM BODEN, IN DEN DIELEN. ES IST IN MEINEM KOPF! ICH HÖRE ES FLÜSTERN, SCHABEN, ATMEN. MEIN KÖRPER ZUCKT, MEINE GEDANKEN VERWESEN. ICH BIN NICHT MEHR ICH. ES WILL MEHR… MEHR… BITTE… ICH KANN NICHT MEHR SCHREIBEN… ES KOMMT…”

Alex erstarrte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Ein ungläubiges Lächeln zuckte über seine Lippen. Sicher ein Scherz, dachte er. Vielleicht von jemandem, der die Hütte zuvor gefunden hatte und sich einen Spaß erlauben wollte. Draußen tobte der Sturm weiter und die Vorstellung jetzt wieder hinauszugehen, war wenig verlockend. Er beschloss, erst einmal weiter hier zu bleiben, sich nicht beunruhigen zu lassen, etwas aufzuwärmen und abzuwarten, bis das Wetter sich beruhigte. Er setzte sich an den Tisch, rieb seine Hände aneinander und betrachtete die schwankenden Schatten, die das flackernde Licht seiner Taschenlampe an die Wände warf. Sein Blick flog zur Wand – und dann hörte er es. Noch immer versuchte er, sich einzureden, dass es nur der Wind war, dass die Worte im Tagebuch bloß das Werk eines Wahnsinnigen waren. Doch das Geräusch wiederholte sich, diesmal deutlicher.

Ein leises Kratzen. Direkt hinter ihm.

Sein Atem stockte. Langsam drehte er den Kopf. Nichts. Nur die alte, rissige Holzvertäfelung. Vielleicht eine Ratte? Oder nur der Wind? Doch sein Herz schlug wild, seine Hände zitterten. War es wirklich nur der Wind? Oder hatte der Verfasser des Tagebuchs die Wahrheit gesagt? Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in seinem Nacken aus. Er schüttelte den Kopf, versuchte, sich zu beruhigen. Nein, das war lächerlich. Aber warum fühlte sich dann plötzlich jede Wand, jeder Balken dieser Hütte wie ein atmendes Wesen an?

Er versuchte, sich zu beruhigen. Doch dann bewegte sich der Boden unter ihm. Ein dumpfes Poltern erklang, als ob etwas Schweres unter den Dielen entlang kroch. Alex wich zurück, sein Herz hämmerte gegen seine Brust. Sein Blick wanderte zu einer Bodenluke in der Ecke des Raumes. Sie war mit einem alten Schloss gesichert – doch die Kette ruckelte, als ob jemand oder etwas von unten dagegen drückte.

Ein ersticktes Flüstern drang aus der Dunkelheit. Worte, die er nicht verstand, ein Chor aus wispernden Stimmen, die sich übereinanderlegten. Dann – ein Klopfen. Langsam, regelmäßig. Von unten.

Alex stolperte rückwärts, riss die Tür auf und rannte hinaus in den Sturm. Doch als er die Schwelle überschritt, verstummte plötzlich der Regen. Die Welt um ihn herum war still. Kein Wind, kein Donner, kein Rascheln der Blätter. Nur die Hütte – und das Gefühl, dass etwas hinter ihm stand und seine schwere Hand nach ihm ausstreckte. Doch der Sturm war nicht vorbei. Plötzlich peitschte eine Böe durch die Baumwipfel, und das Donnergrollen kehrte mit einer unnatürlichen Intensität zurück. Es war, als hätte etwas die Stille nur für einen Moment angehalten – und nun raste der Sturm mit verdoppelter Kraft über den Wald hinweg.

Da stand er nun im Türrahmen, eingefroren, den Sturm im Gesicht und das dröhnende Schlagen an der Luke im Rücken.

Und plötzlich erklang ein metallisches Knacken aus der Hütte. Alex hielt inne, sein Atem ging stoßweise. Dann – ein lautes Krachen. Das alte Schloss der Bodenluke sprang mit einem Ruck auf, und die Kette klirrte auf den Boden. Er wagte keinen Blick zurück, denn er wusste, wenn er es tat, würde er es sehen. Und wenn er es sah – würde er niemals wieder gehen.

Ein schauriges Keuchen drang aus der Luke, gefolgt von einem schleifenden Geräusch, als ob sich etwas Schweres daraus hervorwälzte. Alex spürte Panik in seiner Brust aufsteigen. Mit aller Kraft riss er sich aus seiner Schockstarre und rannte die wenigen ausgetretenen Stufen herunter zurück in den Wald. Der Boden war matschig und aufgeweicht. Er stolperte über Wurzeln und spürte, wie der kalte, feuchte Atem von was-dort-aus-diesem-Keller-gekrochen-kam in seinem Nacken lag. Er preschte weiter durch den Wald, ignorierte seine schweren Beine und die stechende Lunge. Er durfte nicht stehenbleiben – er musste fliehen.

Hinter ihm ertönte ein hohles, unmenschliches Kreischen, das durch die Stille schnitt. Etwas jagte ihn. Die Bäume wirkten bedrohlich, ihre Äste griffen nach ihm, die Dunkelheit schien zu pulsieren. Sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren, sein Körper schrie nach Ruhe, aber er durfte nicht aufhören.

Dann – ein Lichtstrahl. Ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn, als er die Umrisse einer Straße und das im Regen verschwimmende Licht von Straßenlaternen erkannte. Mit letzter Kraft stürmte er darauf zu, seine Beine drohten nachzugeben. Als er die Straße erreichte, fiel er auf die Knie, keuchend, zitternd. Das Kreischen verstummte. Er wagte einen Blick zurück – nichts, keine Spur von dem, was ihn jagte, oder der Hütte. Nur der dichte Wald stand still und regungslos da. Selbst der Sturm hat sich zu einem leisen Nieselregen beruhigt.

Noch nie war Alex so glücklich nach Hause zu kommen, wie an diesem Abend. Als er die schlammigen Wanderstiefel auszog und sicher ging, dass die Wohnungstür verriegelt war, dachte er nach. Was macht er denn jetzt? Sollte er die Polizei benachrichtigen? Die Medien? Es für sich behalten, damit man ihn nicht für durchgedreht hält? Egal, für was er sich entscheidet – zuerst musste er schlafen. Er hatte Mühe seine Augen aufzuhalten, seit das Adrenalin nachgelassen hat. Doch als er sich kurze Zeit später in sein Bett legte und das Licht seiner Nachttischlampe löschte, hörte er es.

Leises kratzen. Als ob etwas ganz langsam und sanft hinter in der Wand über die Raufasertapete schabt…

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