Bindungsangst und andere Hobbys

Also gut, liebe Bindungsphobiker, Näheverweigerer und Ghostingprofis – wir müssen reden.
Nicht über Gefühle. Keine Sorge. Nur so ganz allgemein über das Phänomen was passiert, wenn euch jemand begegnet, der nett ist. Also nicht so nett nett (würg), sondern nur zu euch. Der Rest der Welt geht ihm am Arsch vorbei, aber ihr? Ihr seid eine Ausnahme. Und damit beginnt das Problem.

Denn wenn man so verkorkst ist wie wir – aufgewachsen mit Liebesentzug, vernachlässigt von Mama, ignoriert von Papa, belogen, manipuliert und ausgenutzt von Exen oder belächelt von Therapeuten– dann bedeutet Nähe „Achtung, gleich machts BOOOOM“.
Aber wir haben eigentlich kein Problem mit Nähe – wir haben ein Problem mit dem, was nach Nähe kommt: Enttäuschung. Schmerz. Verlassen werden.
Also springen wir vorher ab.
Und trotzdem passiert es manchmal: es kommt jemand in dein Leben, der es ernst meint.
Nicht perfekt. Kein Wunderheiler. Vielleicht sogar ein bisschen kantig, ein bisschen kriminell, ein bisschen kaputt, emotional instabil und wahrscheinlich kein Fan von gesunder Konfliktlösung, aber:
Er gibt euch das Gefühl, dass ihr bei ihm sicher seid.
So sicher, dass ihr direkt fliehen wollt.
Also fängt euer Nervensystem an Morsezeichen zu senden: „Flucht! Jetzt! Sag du bist nicht bereit! Sag dein Hamster hat Depressionen! Sag, du musst an dir arbeiten – IRGENDWAS!“
Denn für viele Menschen ist das keine Romantische Komödie. Es ist ein Horrorfilm. Denn was, wenn dieser Mensch wirklich bleibt?
Was, wenn du diesmal wirklich jemandem etwas bedeutest?
Was, wenn du nicht ghosten kannst, weil sein Blick sagt: Ich weiß wie kaputt du bist, aber ich bleib trotzdem. ? Was, wenn es diesmal nicht toxisch ist? Nicht manipulativ? Nicht auf Zeit?
Und innerlich wisst ihr eigentlich schon: Ihr denkt zu oft an ihn.
Nicht, weil er euch braucht oder umgekehrt – sondern weil ihr bei ihm mal kurz nicht an all den anderen Scheiß denken müsst.

Und das ist der Plot Twist, den keiner kommen sieht:
Menschen mit Bindungsangst wollen Nähe. Nur eben unter ihren eigenen, selbstzerstörerischen Bedingungen. Keine Erwartungen.Keine Pläne. Keine Guten-Morgen-Nachrichten (außer du schickst sie – dann ist es okay).
Und vor allem: keine „Lass uns drüber reden“-Momente, weil du keine Ahnung hast wie das funktioniert.
Aber jetzt ist da dieser Mensch. Und der hat Geduld.
Er drängt nicht. Er bleibt einfach. Nicht toxisch. Nicht needy. Nicht „zu nett“.
Er ist einfach nur da. Mit warmen Händen, klaren Blicken die so viel sagen wie:
„Ich hab keinen Bock auf irgendwen – nur auf dich.“
Und du?
Du gehst nicht.
Nicht sofort, weil du tief drin weißt:
Wenn jemand bleibt, obwohl du ihn mit deinen besten Schutzmechanismen bewirfst – dann ist das vielleicht nicht das Happy End, aber immerhin ein guter Anfang.
Ein Anfang von:„Ich könnte dich mögen, obwohl du mir Angst machst.“
Ein Anfang von: „Ich bleib, auch wenn ich nicht weiß wie das eigentlich geht.“
Denn was, wenn es diesmal wirklich passt?
Was, wenn jemand genau dich sieht – mit allen Brüchen, Wunden und Unsicherheiten – und sagt: „Du bist nicht Perfekt und ich mag dich trotzdem.“
Also, an alle Fluchttiere mit Vintage-Trauma:
Manchmal bedeutet Mut nicht, „Ich liebe dich“ zu sagen, sondern einfach zu bleiben, wenn alles in einem schreit: „Lauf!“
Und ja, man darf Angst haben. Man darf zweifeln, schweigen, stolpern.
Aber ganz ehrlich, wenn euch jemand begegnet, der euch nervös macht, weil er es mit euch ernst meint – rennt nicht.
Atmet.
Antwortet.
Sagt etwas witziges, wenn ihr zu feige für echte Gefühle seid.
Aber bleibt.
Oder versucht zumindest nicht ganz so schnell weg zu laufen.

Eure Khady

Mic Drop

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