Sylaris – Zwischen Licht und Schatten – Kapitel 1 Part 3

Gerade als Vela sich wieder in Bewegung setzen wollte, hielt sie eine Stimme zurück – freundlich, klar, fast zu hell für diesen grauen, stillen Himmel. „Hallo, du bist gerade angekommen, richtig?“ Vela drehte sich um, der Griff ihres Koffers noch immer in der Hand, als wäre er ihre letzte Verbindung zu etwas Vertrautem. Vor ihr stand eine Feuer-Fae, deren Lächeln warm war – nicht aufdringlich, nicht übermäßig fröhlich, sondern einfach… willkommen. Neben ihr ein Luft-Fae, kaum fassbar, von einer Ruhe umgeben, die sich wie ein Windhauch in die Welt legte – nie ganz greifbar, nie ganz still.
„Ja, bin ich“, antwortete Vela, vorsichtig, aber ehrlich. Ihre Stimme klang fremd in diesem neuen Raum. „Wer seid ihr?“ Die Feuer-Fae trat einen Schritt näher, ihre Bewegungen klar, aber nicht fordernd. „Wir kommen vom Serentias, dem Sozialcenter hier in Sylaris. Wir helfen allen, die neu ankommen oder einfach Orientierung brauchen. Wenn du Fragen hast oder Hilfe brauchst – wir sind für dich da.“
Der Luft-Fae lächelte nur leicht und nickte. „Civitas. Vierter Bezirk. Du findest uns dort. Und… es lohnt sich. Allein wegen des Kräutertees.“ Vela musste lächeln. Nur ein kleines, müdes Zucken der Lippen – aber es war ehrlich. Ihre Finger spielten nervös mit dem Träger ihres Koffers. Zu viele Eindrücke, zu viele Stimmen. Doch diese beiden… sie wirkten wie Anker in einem Hafen, von dem sie nicht wusste, dass sie ihn brauchte.
„Das klingt wirklich gut. Ich… könnte ein paar Hinweise gebrauchen, ja“, sagte sie, leise, aber aufrichtig. Dankbarkeit schwang in ihrer Stimme, zaghaft, wie eine Pflanze, die sich vorsichtig aus der Erde streckt. Die Feuer-Fae deutete auf eine breite Treppe, die in den unteren Bereich des Terminals führte, und ihre Stimme blieb dabei ruhig, fast melodisch. „Wenn du dort hinuntergehst, siehst du gleich gegenüber drei wichtigen Ständen: Das Bürgercenter Elara – da bekommst du deinen Bürgerausweis. Daneben Astralis 9, das Immobiliencenter. Und ganz rechts: Ventum – das ist unser soziales Netzwerk hier in der Stadt. Es hilft, Anschluss zu finden. Termine, Nachrichten, Empfehlungen… alles an einem Ort.“
„Danke“, sagte Vela, und diesmal war es nicht nur Höflichkeit. Diese Informationen waren mehr als praktisch. Sie waren ein zartes Seil, ein unsichtbarer Faden durch das Labyrinth der ersten Stunden in einer neuen Stadt. Die Feuer-Fae zog eine kleine Karte aus ihrer Tasche und reichte sie ihr. Velas Finger berührten das Papier, das sich kühler anfühlte als erwartet – weich, fast lebendig. Fast durchsichtig, mit einem Schimmer wie Mondlicht, das über Wasser tanzt.
In goldener, geschwungener Schrift stand in der Mitte:
Serentias Sozialcenter – Civitas Bezirk
In einer Ecke waren zwei betende Hände eingeprägt – stilisiert, aber mit einer inneren Kraft. Die Farben der Elemente pulsierten darin leise, wie ein ruhiger Herzschlag – Rot für Feuer, Grün für Erde, Blau für Wasser, Grau für Luft, Dunkelviolett für Schatten.
„Lass deine Magie in die Karte fließen und falte sie zweimal. Sie wird dich führen“, sagte der Luft-Fae, seine Stimme kaum lauter als ein Gedanke. Vela nickte. Wieder. Wie so oft an diesem Tag, und doch fühlte es sich diesmal nicht wie ein Automatismus an. Eher wie ein erstes Einverstanden. Sie drückte die Karte an ihre Brust, kurz, als könnte sie damit ihren Platz in dieser Stadt ein bisschen näher an sich ziehen, und steckte sie dann behutsam in die Innentasche ihrer Jacke.
„Willkommen in Sylaris“, sagte die Feuer-Fae, und in ihren Worten lag kein Protokoll, sondern ein Versprechen.
Vela machte sich auf den Weg zur Treppe, ihr Schritt ruhig, fast bedächtig. Jede Stufe unter ihren Füßen fühlte sich wie ein Übergang an – von Ankunft zu Aufenthalt, von Fremde zu Anfang. Unten angekommen entfaltete sich ein riesiges Hologramm über ihr, das in weichen Farben pulsierte: der Stadtplan von Sylaris. Die Worte schwebten klar über ihr, als würden sie leise mit ihr sprechen


Registrierung – Elara
Wohnraum – Astralis 9
Soziale Verbindung – Ventum


Sie trat hinaus auf die Straße, begleitet vom leisen Flüstern der Projektion. Der Himmel war noch immer schwer und silbrig, doch das Licht darunter schien sich inzwischen mit einem Hauch Hoffnung zu vermischen. Unter dem Vordach aus Kletterpflanzen und leuchtenden Blumen warteten drei Tische – jeder ein Versprechen. Und zum ersten Mal an diesem Tag spürte Vela, dass sie auf dem richtigen Weg war.
Mit selbstbewussten, vielleicht sogar ein wenig stolzen Schritten überquerte sie die Straße. Ihre Boots klackten leise über das gepflasterte Magiestein, während der Duft von Blumen und Kristallregen in der Luft hing. Direkt vor ihr lag der Stand von Elara, dem Bürgercenter von Sylaris. Eine Wasser-Fae mit azurblauer Schärpe und einer Ausstrahlung wie ruhiges, fließendes Wasser begrüßte sie mit einem Lächeln – nicht dienstlich, sondern warm, fast persönlich. „Willkommen bei Elara, dem Bürgercenter von Sylaris“, sagte sie, ihre Stimme weich wie Moos. „Hier kannst du deinen Bürgerausweis abholen. Bitte nenn mir deinen Namen und deine Abstammung.“
Vela reichte ihr die Reisedokumente, ihre Finger zitterten kaum merklich. „Vela Meerwyn, Wasser-Fae.“ Die Fae nickte, prüfte die Unterlagen mit einer kurzen, eleganten Geste. Magie floss in silbernen Linien durch das Papier – wie ein Strom, der nur kurz sichtbar wurde, bevor er sich wieder in Stille verlor. „Einen Moment bitte.“
Velas Blick wanderte über den Tisch. Karten, Prospekte, kleine Faltblätter lagen ordentlich sortiert – Informationen über Gilden, Bezirke, Freizeitangebote. Zwischen all dem: das neue Leben, fein säuberlich zusammengefaltet. Dann wurde ihr der Ausweis überreicht. Kein Plastik. Kein Papier. Sondern etwas, das sich wie Magie anfühlte – und aussah wie Kunst.
Der Bürgerausweis von Sylaris lag in ihrer Hand, leicht und dennoch voller Gewicht. Die Oberfläche war transparent, mit einem Schimmer, als hätte jemand Mondlicht auf Wasser gebannt. Türkis. Blau. Silber. Ihre Farben. Feine Runen wanderten wie lebendige Linien am Rand entlang, fließend, neugierig. Als ihre Fingerspitzen die Karte berührten, begannen sie leise zu leuchten – eine stumme Begrüßung. In der oberen Ecke das Siegel der Stadt: eine abnehmende Mondsichel, eingefasst von flammenden Ranken, durchzogen von Luftwirbeln, Wasserwellen und einem kaum sichtbaren Schatten. Ein Gleichgewicht aller Elemente. Ein Symbol für das, was sie nun war – Teil von etwas Größerem.
In der Mitte: ihr Name.


Vela Meerwyn


Nicht versteckt. Nicht verschlüsselt. Einfach da – in schimmernder, magischer Schrift. Darunter: eine ID-Nummer, geheimnisvoll und lebendig, als trüge sie Geschichten, die Vela erst noch entdecken würde. Sie strich mit den Fingern über die Oberfläche – ein sanftes Vibrieren antwortete, leise, aber spürbar.
Sylaris hatte sie gesehen. Und angenommen.
Eine Berührung an ihrer Schulter ließ sie leicht zusammenzucken. Sie drehte sich um – und blickte erneut in die smaragdgrünen Augen der Wasser-Fae. „Ich weiß, es ist viel“, sagte diese mit einem sanften Lächeln. „Kommst du erstmal im Hotel unter?“ Vela nickte. „Gut. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Gedanken zu laut werden – auf der anderen Seite deines Hotels liegt der Stadtpark. In seiner Mitte steht ein Brunnen, gespeist von einer alten Quelle. Das Wasser dort… erdet. Viele Fae kommen dorthin, um zu atmen. Versuch es einfach – Füße ins Wasser, Augen schließen, loslassen.“
Sie tätschelte Vela sanft die Wange, fast wie eine große Schwester, und trat dann schweigend wieder hinter ihren Stand. Vela blieb noch einen Moment stehen. Der Ausweis in ihrer Hand. Ein Herzschlag, der sich beruhigte, so, als hätte er endlich einen Takt gefunden. Dann steckte sie das kleine Wunder vorsichtig in ihren Geldbeutel, drehte sich um – und machte sich auf den Weg zum nächsten Tisch.
Anschließend wandte sich Vela dem letzten Stand zu: Ventum. Der Tisch wirkte anders als die anderen – moderner, kantiger, mit einer Aura aus urbaner Schattenmagie, die sich wie ein feiner Schleier zwischen den Blumenranken und Bürgerkarten legte. Dahinter lehnte ein Fae, dessen Präsenz sich anfühlte wie Nebel – anwesend, aber nicht ganz greifbar. Seine Haut war von tiefem Braun, seine Gesichtszüge scharf, fast schon skulptural, und dann dieses Grinsen – wie ein geheimer Witz, den nur er verstand. „Da sind wir“, sagte er, als hätte er sie schon erwartet. „Du bist jetzt offiziell auf Ventum. Willkommen im Netzwerk.“


Vela hob eine Braue, halb verwundert, halb amüsiert. „Ist das so? Klingt ziemlich… endgültig.“ Der Fae grinste breiter. „Ist es nicht immer ein bisschen endgültig, wenn man irgendwo ankommt?“ Sie musste leise lachen – der erste echte Laut dieser Art seit ihrer Ankunft. „Danke, ohne dich hätte ich doppelt so lange gebraucht.“ „Dann hab ich meinen Job wohl gemacht“, erwiderte er und zwinkerte. „Geh ruhig, bevor du anfängst, mich sympathisch zu finden.“ – „Zu spät“, entgegnete sie trocken, trat einen Schritt zurück und musterte ihn noch einen Moment lang. Er war wie Rauch im Sonnenlicht. Flüchtig, aber irgendwie da. Und was wichtiger war: Er hatte sie ernst genommen. Kein Kommentar über ihre Herkunft. Keine Frage nach ihrer Gabe. Kein Urteil. Nur ein Willkommensgruß. Und das war genug.
„Willkommen in Sylaris. Hab einen schönen Aufenthalt, Vela.“ Er sprach ihren Namen, als wollte er ihn sich merken – als wäre sie nicht nur eine weitere Reisende in dieser riesigen Stadt. Sie nickte. Und drehte sich um.


Und da – zwischen all den fremden Gesichtern – war ein Lächeln, das sie erkannte. Hector. Er stand ein Stück weiter hinten, vor dem Blätterbogen des Treppenaufgangs. Er winkte ihr zu, die Geste locker, einladend, vertraut. Ein stilles Signal inmitten all des Neuen.
Vela spürte, wie sich ihr Gesicht ganz von selbst zu einem Lächeln verzog. Nicht nur wegen Hector. Sondern, weil sie sich – zum ersten Mal an diesem Tag – wirklich angekommen fühlte.

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